EIN UNVERGESSLICHES FEST
Von Christopher Reichel |
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Die Tür zum großen Ballsaal schwang auf und gab den Blick auf eine illustre Gesellschaft frei. Kyle schritt durch die Tür und war erstaunt, wie viele Adlige aus ganz Aktes gekommen waren, um die Freundschaft zwischen Reptile und seinem Vater sowie den andauernden Frieden im Westen von Rulus zu feiern. 50 Zyklen lang gab es keinen nennenswerten Krieg zwischen den Echsenwesen und den Menschen. 50 Zyklen lang waren der König von Aktes, Xevon Primor, Sohn des grausamen Bractus III., und Reptile, das ehemals verwaiste Echsenwesen befreundet. 50 Zyklen nach dem Ende des großen Krieges, welcher einen ungeheuren Blutzoll unter den Echsenwesenstämmen des Westens forderte.
Kyle lächelte. Gut gemacht, Vater. Du hast die Situation damals ausgenutzt, um dich als Friedenskönig zu etablieren. Dabei hast du selber die Echsenwesen abgeschlachtet. Doch zeigt dies nicht, dass sich jeder Mensch ändern kann? Trotzdem bezweifle ich, dass die Echsenwesen dir jemals verzeihen werden. Dafür ist die Wunde, die der große Krieg in das Bewusstsein der Echsenwesen schlug einfach zu tief. Einige Adlige sahen Kyle lächeln und meinten, er hätte sie begrüßt. Sie erwiderten es und wandten sich dann wieder ihren Gesprächen zu. Kyle sah diese Veranstaltung als eine gute Möglichkeit, die anderen Herzöge besser kennen zu lernen. Schließlich war Xevon schon 70 Zyklen alt und die Zeit ließ sich nicht aufhalten. Die meisten der Herzöge würden auch noch leben, wenn Kyle König sein würde. Deshalb musste er sich mit ihnen vertraut machen, um eventuelle Loyalitäten, Freund- oder Feindschaften auszumachen. Er wusste, dass nicht alle Adlige im Land mit seinen Methoden und seinem Denken einverstanden waren. Selbstverständlich stand sein Vater, der oberste Souverän im Land hinter ihm, genauso wie Reptile und Groul. Den zurückhaltenden Herzog Yirrck konnte er nicht einschätzen, obwohl er angeblich Reptile in Kyles Jugend half eben jenen aus den Händen eines bösen Magiers zu befreien. Diese Erinnerung war für Kyle seltsamerweise irgendwie verschwommen. Im Zweifelsfalle würde Kyle ihn zu einem seiner Unterstützer zählen. Kyle suchte sich einen Platz an einem freien Tisch und setzte sich hin. Ein Diener brachte ihm einen Kelch mit Wein, offensichtlich ein teurer fremdländischer Wein, was bedeutete, dass er nur aus Atreus stammen konnte, da dieses Herzogtum als einziges mit den anderen Menschennationen Handel über den Seeweg betrieb. Die Atrei waren schon immer Opportunisten gewesen, welche selbst im Krieg ihren Vorteil suchten. Kurze Zeit später kam dann Kyles politischer Lehrer und Kammerherr, Ithuriel. Der Prinz bestand darauf, in der Politik von Ithuriel mindestens genauso gut unterrichtet zu werden, wie Reptile und sein Vater ihn in der Kunst des Kampfes unterwiesen hatten. Ithuriel, vorsichtig wie immer, schaute sich erst mehrere Male umher, bevor er sich zu seinem sitzenden Herrn herunterbeugte. „Du wirst hier wohl kaum Feinde finden, Ithuriel. Wir sind hier unter den Adligen, welche einen Eid auf den König geschworen haben.“ Kyle amüsierte sich prächtig. „Mein Herr, wenn ihr meinen Lehren nur bedachter lauschen würdet, würdet ihr wissen, dass Feinde überall lauern können. Der versteckte Dolch ist genauso tödlich wie das offen sichtbare Schwert.“ Diese Metapher lies Kyle ernster werden. Er räusperte sich und musste sich widerwillig eingestehen, dass Ithuriel wie immer recht hatte. „Nun gut, mein Prinz, was seht ihr?“ „Eine adlige Gesellschaft.“ „Aha, und was noch?“ Kyle dachte angestrengt nach. Dies war eine von Ithuriels Übungen. Kyle sollte sich auf sein Umfeld konzentrieren und seinen Geist frei machen. Dann würde er erkennen, was hinter der Fassade des friedlichen Zusammenseins und der Maske der Freundlichkeit steckte, welche nahezu alle Adligen aufsetzten. „Die Adligen schätzen sich gegenseitig ab. Sie versuchen einen Vorteil für sich zu erreichen. Auch wollen sie meinen Vater ihre Ergebenheit beweisen.“ „Gut, mein Prinz, gut. Ihr versteht langsam, hinter die Gesichter und in die Seele zu blicken. Warum wollen sie ihre Ergebenheit beweisen?“ „Weil sie hoffen so größeren Einfluss bei Hof zu bekommen?“ Ithuriel lachte leise. „Wohl kaum, Milord. Die Rollen sind klar verteilt.“ Ithuriel beugte sich noch weiter runter bis sein Mund am rechten Ohr des Prinzen lag. Er flüsterte jetzt. „Nein, sie wissen, dass Xevons Zeit langsam ihren Ende entgegen geht. Sie wissen, dass Xevon vor seiner Abtretung noch einmal größere Veränderungen in Aktes veranlassen könnte. Sie wissen, dass ihre Position bedroht sein könnte, wenn sie nicht nett zu dem alten König sind.“ Kyle ließ seinen Blick noch einmal umherstreifen. Er wusste, dass Ithuriel die Situation richtig erkannt hatte. Bereiteten sich diese Adlige wirklich schon auf Xevons Abtretung vor? Vielleicht dachten die Adligen auch so wie Kyle. Nämlich, dass Xevon im Laufe des Friedens an gesunder Entscheidungskraft verloren hatte und sich zu sehr auf seinem Frieden ausruhte. Doch war diese königliche Beleidigung ihnen wirklich so offensichtlich ins Gesicht geschrieben, sodass Ithuriel es sofort erkannte? Kyle rutschte unbehaglich auf seinem Stuhl herum. Diese Gedanken gefielen ihm nicht. Er griff zu seinem Kelch und ließ das alkoholische Getränk seine Kehle herunter laufen. „Also, Ithuriel. Erzähle mir mehr über die Herzöge von Aktes.“ „Wie ihr wünscht mein Prinz. Seht ihr den Herrn dort vorne neben der Baroness von Litr? Der mit dem blauen Krempenhut und dem purpurnen Umhang?“ „Ja... aber... wie kommt er zu dem Umhang? Ist er ein Mitglied der königlichen Familie?“ Ithuriel verlagerte das Gewicht, „Ja und Nein. Sein Name ist Lord Lothar Halek-Primor, Herzog von Neil. Er ist ein entfernter Verwandter eures Vaters. Allerdings ist sein königliches Blut so stark verwässert, dass er einen Doppelnamen annahm, um sein fehlendes Anrecht auf den Thron zu signalisieren. Trotzdem bleibt er berechtigt den Purpurumhang zu tragen.“ „Wo liegen seine Loyalitäten?“ fragte Kyle. „Er ist ein treuer Anhänger des Königs. Er diente schon unter eurem Großvater als Offizier. Er identifiziert sich mit den Ansichten Xevons und ist deshalb vielleicht nicht gewillt einem König zu folgen, der von dem bisherigen Status Quo abweicht...“ Den letzten Satz sprach Ithuriel mit einem Blick zu Kyle. Der Prinz bemerkte dies und war verärgert. Er mochte es nicht, wenn ihn jemand auf seine Probleme mit seinem Vater ansprach. „Pass auf, Ithuriel. Ich bin immer noch der Prinz und du nur ein gebildeter, gemeiner Ritter.“ „Ich wollte euch nicht angreifen, Milord. Ich wollte euch nur zum Nachdenken anregen.“ Kyle wechselte das Thema. „Wer ist dieser dort? Der mit der Lederrüstung und dem ernsten Blick?“ „Ah, ihr meint den Herzog von Atreus, Lord Caleb Traevoring. Nehmt euch vor ihm in Acht. Er ist unberechenbar, wie alle Atrei. Seine Loyalitäten sind unklar, trotzdem lassen sie sich nicht kaufen. Er versucht sein kleines Herzogtum bedeutender zu machen. Auch wichtig zu wissen ist, dass er den Primorianern nicht unnah steht.“ Die Primorianer waren eine kleine radikale Fraktion, welche sich für die Aufrüstung einsetzte, um den Feinden zu zeigen, dass Aktes immer noch die stärkste Kriegsmaschinerie besaß. Die Primorianer standen genau entgegengesetzt zu Xevons Politik. Kyle hob die Augenbrauen. „Interessant... er sieht nicht aus wie ein radikaler Kriegsfanatiker.“ Der Prinz sah aus einem Fenster. Es musste mittlerweile schon Mitternacht sein. „Nun gut, Ithuriel. Das soll mir für heute reichen. Vielleicht werde ich mich mit dem ein oder anderen Herzog unterhalten. Du bist wahrlich ein Meister der Politik. Du darfst dich zurückziehen.“ Ithuriel richtete sich zu voller Größe auf und verbeugte sich. „Habt Dank, Milord. Ich weiss euer Lob zu schätzen.“ Mit diesen Worten verabschiedete er sich und verließ den Ballsaal. Kyle blieb noch eine Weile sitzen und dachte nach. Er musste an Fabelle und seinen Sohn denken, aber er hatte die beiden absichtlich nicht mitgenommen, ummehr über die Adligen des Landes zu lernen. Schließlich würde er sie auch eines Tages als Untergebene haben. Just in diesem Augenblick ertönte eine Posaune und sein Vater der König betrat den Saal mit seinen Würdenträgern, Beratern und seinem Kanzler, Lord Saul Vandire. Vandire war ebenfalls der Herzog von Tyros, obwohl der König sich um dieses Herzogtum meist selbst kümmerte, um dem Volk das Gefühl zu geben, dass der König sich mit ihnen beschäftigte. Xevon begrüßte einige der Adligen und Herzöge, welche wie alle im Saal aufgestanden waren, um dem König ihre Ehrfurcht zu zeigen. Schließlich war Xevon an seiner Tafel angekommen und setzte sich auf den thronartigen Sessel. Auch die Herzöge und einige der höherrangigen Adligen bewegten sich auf die königliche Tafel zu und setzten sich an sie. Mit dem Eintreffen des Königs war das Bankett eröffnet und die Diener des Königs servierten Wein und Speisen. Kyle setzte sich bewusst etwas entfernt von seinem Vater hin. Er setzte sich zu der Runde von Herzögen, zu welcher auch die erwähnten Herzöge Lothar und Caleb saßen. Das Essen schmeckte Kyle ausgezeichnet, genauso wie der Wein; die Gespräche während des Essens drehten sich um nichts Besonderes. Als es dann zum Nachtisch kam, traute sich Kyle ein Gespräch mit den Herzögen anzufangen. „Lord Caleb, ihr seid ein sehr junger Herzog im Vergleich zu den anderen. Wenn ich König werden sollte, werde ich mit euch wohl am längsten auskommen müssen.“ Kaum hatte Kyle es gesprochen, verurteilte er sich selbst. Wie kann ich nur so etwas offensichtlich Dummes sagen? Ich hab wohl zuviel Wein getrunken... Der Herzog von Atreus schaute ihn schief an. Anscheinend vertrug er mehr Alkohol und war noch ganz bei Sinnen. „Nun, mein Prinz. Ich glaube wir werden gut miteinander auskommen. Wir sind uns ähnlicher als ihr glaubt...“ Der Traevoringer hatte ein undurchsichtiges Lächeln. In jeder anderen Situation hätte Kyle Misstrauen gegenüber dem Herzog gehegt, aber in seinem jetzigen Zustand empfand er die Aussage einfach nur als Kompliment. Caleb griff zu seinem Kelch und trank einen Schluck. Dabei blitzte ein Amulett auf, welches der Atrei unter seiner Lederrüstung trug. Kyle konnte nur einen kurzen Blick darauf erhaschen, aber es reichte, um ihn um eine Erkenntnis reicher zu machen. Das Amulett zeigte einen Ichiak, welcher von einem Menschen in einer aktischen Rüstung mit einer zwergischen Axt erschlugen wurde. Die Axt trug die Rune von Couvrant. Dieses Amulett symbolisierte den gemeinsamen Erfolg der Zwerge und der Menschen von Aktes, insbesondere der von Couvrant, gegen die Ichiak vor zwei Jahren. Der Traevoringer hat also vor zwei Jahren im Norden gegen die Ichiak gekämpft. Nur diejenigen, welche die letzte Welle des Ichiak-Angriffs zurückschlugen, um den Zwergen und den Menschen den Rückzug zu ermöglichen, erhielten ein solches Amulett. Reptile und Vater tragen natürlich ebenfalls eins, genauso wie der Herzog von Couvrant. Dieser Lord Caleb muss ein guter Kämpfer sein, wenn er zusammen mit den größten Helden des Westens gegen die Ichiak gekämpft hat. Ich muss mich tatsächlich vor ihm in Acht nehmen.... „Worüber denkt Ihr nach, mein Prinz?“ fragte Caleb. „Nun, ich frage mich, ob Ihr in der Politik genauso gut seid, wie im Kampf?“ Der Herzog von Atreus lehnte sich zurück, den Kelch immer noch in der Hand. „Ich betrachte mich als in beiden Dingen erfahren“ „Trotz Eures geringen Alters?“ „Das Alter ist nicht entscheidend, solange die Erfahrung da ist. Natürlich hat man, wenn man älter ist mehr Erfahrung, aber ich habe schon einiges erlebt und erfahren. Außerdem ist Ambition sehr wichtig.“ „Ambition für mehr Macht?“ Kyle wurde nun mutiger und stellte heikle Fragen. „Auch, ja.“ Der Traevoringer setzte wieder sein seltsames Lächeln auf. „Ich hoffe Ihr habt auch Ambition... für die nahe Zukunft....“ Kyle stutze. Was sollte dies bedeuten? Er schaute zu seinem Vater, welcher gerade von einem Boten eine Nachricht ins Ohr geflüstert bekam. Xevons Gesicht verhärtete sich als der Bote fertig war. Kyle wusste, dass etwas Schreckliches passiert gewesen sein musste. Xevon erhob sich und sprach. „Meine verehrten Herzöge, wenn sie mir bitte folgen wollen. Es ist dringend.“ Mit diesen Worten erhob sich der König und verließ den Saal Richtung Konferenzraum. Die Herzöge folgten ihm so schnell es ging. Als sie schließlich alle in dem Konferenzraum waren, schloss Kanzler Vandire die Tür. „Mein König, so sprecht! Was ist passiert, dass ihr die Feier so unverhofft abbricht?“ In Vandires Gesicht stand massive Sorge. Der König atmete tief durch. „Eine Armee aus Argon hat den Efil überquert und ist auf dem Weg nach Aktes. Sie werden schätzungsweise in vier Tagen das Grenzgebiet erreicht haben!“ -ENDE- |
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