DER PRINZ VON AKTES

Von Christopher Reichel
Karan näherte sich seinem Herrn mit schnellen Schritten. Seit sie vor drei Tagen die Verfolgung der Banditen aufgenommen hatten, hatte er nicht mehr mit ihm geredet. Es bestand nicht die Notwendigkeit eines Gesprächs, da jeder wusste, was er zu tun hatte. Der König hatte ausdrückliche Befehle gegeben. Und nun hatte die Truppe um Karan diejenigen, welche die Dörfer in den südlichen Ausläufern von Aktes geplündert hatten, endlich eingeholt. Gerüchte besagten, dass diese Plünderer den ganzen, weiten Weg aus Argon und durch die Wüste Tarrakis gemacht hatten, nur, um sich am Reichtum des Landes Aktes zu laben. Sie dachten wohl, dass König Xevon, der in Argon als „der Sanftmütige“ betitelt wurde, nichts gegen sie unternehmen würde... sie dachten, er bleibt in seinem Schloss und lässt Banditen in seinem Land umherziehen. Nun, Xevon war tatsächlich in seinem Schloss geblieben, da es Dinge gab, die unbedingt Aufmerksamkeit erforderten, weil sie das ganze Land bedrohen könnten. Trotzdem hatte er nicht vor gehabt, überhaupt nichts gegen die Eindringlinge zu unternehmen. Xevon hatte nachgedacht, ob dieser Raubzug die Idee eines armseligen Verbrechers und seiner Kumpanen war, oder ob Argon vielleicht einen Krieg provozieren wollte, um die Einwohner davon abzuhalten sich gegenseitig abzuschlachten. Der König entschied, dass diese Bande gnadenlos verfolgt und ausgemerzt werden sollte, um den Herren in Argon zu zeigen, dass sie mit Aktes nicht spaßen können und, dass der König nicht immer „der Sanftmütige“ sei. Da Xevon selbst verhindert war, schickte er seinen vertauenswürdigsten Vasallen, seinen besten General... den Prinzen.

Karan stoppte wenige Schritte vor seinem Herrn, um nach Luft zu schnappen. Der Prinz stand auf einer erhöhten Position, das Schwert vor sich in den Boden gerammt und die Hände auf dem Knauf abgelegt. Sein purpurner Umhang, welcher ihn als Mitglied der königlichen Familie kennzeichnete, wehte im frischen Morgenwind, sein Blick starr auf die lange Karawane gerichtet, welche das Tal unter ihm passierte. Dies waren die Plünderer aus Argon.

„Was ist, Karan?“, fragte der Prinz mit gleichgültiger Stimme. Obwohl Karan in seinem Rücken stand, hatte er ihn gehört. Er muss wirklich sehr laut nach Luft gerungen haben.

„Mylord... die Kundschafter haben sich die Karawane genauer angesehen. Es sind Frauen und Alte dabei, Mylord.“

„Und?“

„Wir sollten vielleicht darauf achten, wen wir umbringen...!“

Der Prinz antwortete nicht sofort. Anscheinend dachte er nach.

„Du hast die Order meines Vaters erhalten, Karan?“, fragte er nach einer kleinen Pause.

„Ja, Mylord.“

„Hast du vor, sie in Frage zu stellen?“

„Nein, Mylord, aber...“

Der Prinz ergriff sein Schwert, zog es aus dem Boden und drehte sich um. Als er an Karan vorbeiging sagte er hasserfüllt: „In harten Zeiten ist Härte erforderlich!“

Karan machte sich daran seinem Herrn zu den Truppen zurück zu folgen und hatte Probleme mit dem körperlich größeren Prinzen mitzuhalten.

„Diese Plünderer verdienen nichts besseres. Ich habe die Berichte gelesen, ich WAR in den zerstörten Dörfern... sie hatten Kinder ermordet, Frauen vergewaltigt und vor absolut nichts halt gemacht. Und nun soll ich den Frauen und Alten Gnade gewähren, die selbst geplündert und gemordet haben? Argon ist anders, Karan. Dort überlebt nur der Stärkere; eine Kriegerkultur. Was meinst du wohl warum sie die Frauen mithatten? Um sich unterwegs zu vergnügen? Nein, die Banditen wussten, dass unsere Soldaten Frauen nicht anrühren würden. Und dann zücken sie einen Dolch und erstechen unsere Männer hinterrücks. Gnade ist hier fehl am Platze, Karan. Sie verdienen nichts besseres!“

Sie waren mittlerweile bei ihren Soldaten angekommen. Dies war das Signal, dass sie sich bereit zum Angriff machen sollten. Ein Knappe brachte des Prinzen stolzes Schlachtross, welcher sich mit einem geübten Sprung auf den Sattel schwang, das Schwert immer noch in der Hand.

„Mein Prinz... ich diente bereits unter eurem Vater in unzähligen Schlachten. Im Laufe der Zeit veränderte er sich; er wurde ein König des Friedens. Zu meinem Beschämen muss ich sagen, dass viele Soldaten, dies nicht als gut empfanden... ich... war auch einer von ihnen. Unsere Nation war einmal sehr stark, die stärkste unter allen menschlichen Ländern. Und nun seht was aus ihr geworden ist... Plünderer können einfach in unser Lande eindringen und ungehindert plündern, weil die Armeen von eurem Vater verkleinert wurden und die Milizen verkümmern.“ Karan zog seinen Beidhänder aus der Scheide auf seinem Rücken. „Seht diese Waffe... sie stammt noch aus dem großen Krieg. Mein Vater enthauptete viele Echsenwesen damit. Er vererbte es mir und ich schlug ebenfalls viele Köpfe von Wesen und Menschen jeglicher Herkunft damit ab. Es ist ein Relikt, denn so etwas wird kaum noch hergestellt. Die Esse in den Schmieden von Aktes ist schon vor langer Zeit erkaltet und lässt uns ohne Waffen zurück... In einer Welt, die nach unserem Blut dürstet. Aber in euch sehe ich den wiedergeborenen jungen Xevon und ich bin nicht der einzige. Viele Soldaten sehen in euch die größte Hoffnung für unsere Nation. Ihr seit wahrlich der Sohn eures Vaters.“

Der Prinz schaute zu seinen Truppen. Er sah tatsächlich die Erwartung in ihren Augen, sie waren stolz unter seinem Kommando zu stehen. Sie sahen in ihm den neuen „Schlächter von Aktes“, den Kriegerkönig. Er verzog vor Verachtung das Gesicht.

Ich bin kein Schlächter. Ich werde nie sinnlos Krieg führen, Unschuldige ermorden oder Spaß am Kämpfen haben. Was nötig ist, ist nötig. Wenn ich König bin, werde ich die Herrschaft meines Vaters weiterführen. Doch ich werde Aktes wieder an die Spitze der menschlichen Nationen führen. Ich werde Aktes zur größten militärischen Macht machen und gleichzeitig für den Frieden kämpfen. Derjenige der uns angreifen will, soll spüren, dass er einen Fehler gemacht hat. Ich gebe diesen Soldaten den Schlächter den sie haben wollen, den Kriegerkönig... doch ich werde niemals ohne gerechten Grund Krieg führen. Aber wenn es sein muss, dann soll er für unsere Feinde schrecklich sein. Vater... vielleicht bist du wirklich etwas zu sanftmütig... in harten Zeiten ist Härte erforderlich...

Der Prinz riss sein Schwert in die Luft. „Für Aktes“, schrie er.

Er gab seinem Pferd die Sporen und ritt über den Hügel in das Tal hinab. Seine Soldaten folgten ihm. Es ertönte ein lautes „Aktes“ aus einhundert Kehlen. Die Kavallerie ritt ihrem Prinzen in das Tal hinterher, die Infanterie rannte so schnell sie konnte den Abhang hinab. Immer wieder ertönte „Aktes“, die Kriegshörner schalten. Der Prinz hielt sein Schwert immer noch in der Luft und der Stahl glänzte in der Morgensonne. Karan, der hinter ihm ritt, hatte Tränen in den Augen. Jeder Soldat hatte Tränen in den Augen. Sie waren Stolz auf ihren Prinzen, stolz auf sich selbst, stolz auf Aktes. Diese Herrlichkeit ließ niemanden unberührt. Der Prinz verkörperte Aktes, seinen ganzen Stolz, seine ganze Größe, seine ganze Herrlichkeit. Das Charisma, die Ausstrahlung des jungen Prinzen war unerreicht.

Der Prinz schwang sein Schwert in der Luft und ritt auf den Bandenchef zu, während um ihn herum die Kavallerie die gemeinen Banditen umbrachte. Der Bandenchef schrie dem auf ihn zureitenden Prinzen entgegen: „Wer bei den Göttern bist du?“ Er war sich sicher einen Dämon zu sehen, einen Avatar des Krieges.

„Ich bin Prinz Kyle von Aktes und ich bin heute nicht dein Gegner im Kampf, sondern dein Henker!!!“ Und mit diesen Worten schlug er ihm im Vorbeireiten den Kopf ab...